Interview Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.)

"A Private Collection", Frankfurt die private Kunstsammlung Tyrown Vincent im Porträt von Christoph Schütte, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Tyrown Vincent Fotografiert von Tom Wesse für die F.A.Z
Tyrown Vincent Fotografiert von Tom Wesse für die F.A.Z

Von Christoph Schütte

Diskret mag man das nicht nennen. Höflich auch nicht. Aber, pardon, was will man machen, wenn Tyrown Vincent seinem Gast die Wohnungstür öffnet, und als Erstes sieht man sich den „Vier apokalyptischen Reitern“ Albrecht Dürers gegenüber?

Die vier apokalyptischen Reiter, Albrecht Dürer 1498

Also bleibt man erst einmal wie angewurzelt stehen und schaut. Um gleich darunter zwei ganz wunderbare, noch zu Lebzeiten Goyas gedruckte Blätter aus den „Caprichos“ zu entdecken, und dann kommt man kaum los von einer Folge bezaubernder Tuschezeichnungen des Beckmann-Schülers Karl Tratt und bleibt am Ende bei einer ganzen Reihe von Papierarbeiten Martina Küglers hängen. Man schaut also und schaut. Und steht immer noch unvermittelt im Flur.

Tyrown Vincent, der uns in seine Frankfurter Wohnung eingeladen hat, ist ein leidenschaftlicher Kunstsammler – mit einer außergewöhnlichen Kollektion. Weniger weil sich hier die großen, millionenschweren Namen, sagen wir der Romantik, der klassischen Moderne oder der Kunst der Gegenwart vertreten fänden, die man nur aus dem Städel, dem Louvre oder von vermeldeten Auktionsrekorden bei Sotheby’s oder bei Christie’s kennt. Vincent versteht sein „Hobby“, wie er seine Sammlung mit gut und gerne 1100, zu einem Großteil im Depot lagernden Arbeiten nennt, keinesfalls als Geldanlage. Er lässt sich nicht von einer großen Galerie beraten, er hat keinen Kurator für die eigene Wohnung angestellt und wollte auch mit dem, was hier in Petersburger Hängung auf den rohen Rotputzwänden hängt, nicht in ein möglicherweise sogar eigenes Museum. In die Öffentlichkeit, das aber schon.

Kunst an der Wand
Denn der 1969 in Frankfurt geborene Vincent lädt seit Jahren schon regelmäßig wildfremde Menschen zu sich nach Hause in seine „A Private Collection“ genannte Sammlung ein. Es sei ein sehr gemischtes Publikum, das zu ihm komme. Er macht das nicht aus Eitelkeit. Oder gar aus kommerziellem Interesse. Schließlich, so Vincent, sei seine Dreizimmerwohnung weder Showroom noch Galerie und schon gar keine Kunsthalle. „Es ist einfach eine Wohnung mit Kunst an der Wand.“ Punkt.

Der Städel Club zu Besuch bei „a private collection“ Frankfurt mit Tyrown Vincent

Eine Wohnung voll mit Fotografie und Malerei, mit Skulptur, Zeichnung und Druckgrafik aus gut und gerne 500 Jahren. Das könnte man bei oberflächlicher Betrachtung wahllos nennen, es ist aber im Gegenteil vor allem eigenwillig. Und eher ein Zeichen für ein selbstbestimmtes, der Kunst und nicht den sie begleitenden, vornehmlich vom Markt bestimmten Interessen vertrauendes Vorgehen. Und darum geht es.

Photo: LIFE-by-LUFE. Courtesy of A PRIVATE COLLECTION.

Wenn Vincent über Kunst spricht, verrät das seine innige Beziehung und sein weitgefähertes Interesse. Und so geht es ihm darum, den Menschen „die Angst zu nehmen, in die Alltäglichkeit zu sammeln“, wie Vincent formuliert. Nicht für die Nachwelt oder für die Börse, sondern für sich selbst. Weil einem ein Kunstwerk etwas sagt; man spürt vielleicht: Ein Bild, eine Skulptur und eine Zeichnung „gehört zu dir“. Und weil man ein Bild immer wieder neu und anders für sich selbst entdecken kann. Tag für Tag. Vor einer kleinen, tiefdunklen Tafel Hans Steinbrenners etwa, wie man sie in Vincents Wohnzimmer um ein Haar bloß übersieht, oder einem Foto Will McBrides.

Insofern hat sich Vincent mit seinem aktuellen Engagement keinen Gefallen getan. Denn wenn er jetzt vor unseren Augen hier auf ein frühes Aquarell, dort auf ein Relief des eher wenig bekannten Rudolf Nicolai deutet, auf eine Grafik Thomas Bayrles vielleicht und eine ziemlich großartige, aus dem Nachlass erworbene Leinwand Martina Küglers; auf Fotoarbeiten von Zuza Krajewska und eine Bleistiftzeichnung Paris Giachoustidis’ und lakonisch „geht“ anmerkt und „geht, geht, geht“: Dann ahnt man, dass es jetzt vielleicht nicht einsam werden wird um Tyrown Vincent – an den Wänden seiner Wohnung aber ziemlich leer.

Mischung aus Kunstsinn und Profi-Marketing
Denn der Mann, der in seinem Leben schon Tänzer war und Model, der mit seinem eigenen Unternehmen jahrelang Modeshows produziert hat und jetzt für ein großes französisches Modeunternehmen tätig ist, hat mit der „Frankfurt Art Experience“ eine Form entwickelt, den traditionellen Saisonstart der Frankfurter Galerien noch einmal „neu und anders zu erzählen“, in einer Mischung aus Kunstsinn und Profi-Marketing, hat eine ehrenvolle Einladung erhalten.


Gehen doch zahlreiche Arbeiten für die nächsten Wochen in eine Ausstellung nach Mannheim, wo der Kunstverein den Sammler eingeladen hat, „A Private Collection“ vorzustellen. Unter dem Motto „ohne meine Kunst bin ich nackt“. So wird sie einem noch größeren Publikum vorgestellt, als es Vincent bei sich zu Hause begrüßen kann. Was allemal aufregend ist, aber auch verbunden mit einer Menge mal mehr, mal weniger quälenden Fragen. Ob man sich das zutraut etwa, ob die Sammlung das auch wirklich hergibt und dergleichen mehr. Und, bei 1100 Arbeiten auch keine Kleinigkeit: Was will man zeigen, warum und was am Ende eher nicht. Kurzum: Wie will man, in den Worten Vincents, diese Sammlung im quasi-institutionellen Rahmen eines Kunstvereins erzählen?

Weshalb es Vincent wichtig ist, dass er die Schau nicht etwa selbst kuratiert hat. Sondern die Auswahl der Arbeiten dem Kunstverein überlässt. Ein Kurator, so Vincent, könne „ganz andere Sichtweisen herausarbeiten“. Selbst den Sammler überraschende Akzente setzen, Themen präparieren und Verbindungen herstellen, die er selbst womöglich so bislang noch gar nicht wahrgenommen habe. Mag sein, so manches Bild, so manches Blatt auch wird ihm in den nächsten Wochen schmerzlich fehlen, so eng, wie er mit seiner Kunst lebt. Doch andererseits, weiß Tyrown Vincent, müsse man loslassen lernen. Die Werke hätten ohnehin ein eigenes Leben. „Man hat sie, aber sie gehören einem nie.“
A Private Collection. Die Sammlung Tyrown Vincent ist von 9. Oktober bis 18. Dezember im Mannheimer Kunstverein zu sehen. Informationen zur Sammlung unter a-private- collection.com.